
Lieber Karel Schwarzenberg, ich werde Sie nie vergessen!
13.11.2023 / 11:37 | Aktualizováno: 13.11.2023 / 11:45
Nachruf des Botschafters: Tomáš Kafka zum Tod von Karel Schwarzenberg
Die Welt, 12.11.2023
Lieber Karel Schwarzenberg, ich werde Sie nie vergessen!
Von Tomáš Kafka, 12.11.2023
Ewiger Fürst und Kavalier Europas: Der ehemalige tschechische Außenminister Karel Schwarzenberg ist am Samstag im Alter von 85 Jahren gestorben. Ihn würdigt der Botschafter Tschechiens in Berlin, Tomas Kafka.
Wenn große Persönlichkeiten sterben, versetzt es die Hinterbliebenen, egal ob sie verwandt sind oder nicht, in eine prekäre Situation. Am meisten sind sie geneigt, sich selbst zu bemitleiden – statt dem Verstorbenen nachzutrauern. Man weiß, dass es sich nicht gehört, doch man kann sich nicht helfen.
Ich kann es nur aus eigener Erfahrung bezeugen. Denn so erging es mir nach dem Tod von Václav Havel im Jahre 2011. Und so ergeht es mir auch jetzt, nachdem der ehemalige Außenminister Tschechiens und ewige Fürst und Kavalier Europas Karel Schwarzenberg am 11. November im Alter von 85 Jahren gestorben ist. Das einzige, was ich darüber hinaus noch weiß, ist, dass ich bei Weitem nicht der Einzige bin. Der Tod von Karel Schwarzenberg ist ein großer Verlust für die ganze demokratische Weltgemeinde.
Anstand, Lebensfreude und Humor
Tschechien ist sicher nicht ein Land, um welches sich die ganze Geschichte dreht, geschweige denn die ganze Welt. Den meisten Bürgern Tschechiens macht das auch nicht besonders viel aus. Dennoch kommen gerade dort – von Zeit zu Zeit – großartige Individuen zur Welt, die sich nicht primär um die Weltgeschichte kümmern wollen, sondern deren Hauptziel es ist, sich dafür einzusetzen, dass sie – aber nicht nur sie – ein dezentes Leben führen können.
Dass der Anstand und die Lebensfreude immer noch Platz im angesagten Lifestyle finden können. Sie tun das nicht aufgeblasen und haben auch nicht das Bedürfnis, große Manifeste zu publizieren. Ihre „Waffen“ sind eher Hartnäckigkeit, Mitgefühl und – nicht zu vergessen – eine gehörige Portion Humor.
Zu diesen großen Persönlichkeiten Tschechiens zählt unbedingt auch Karel Schwarzenberg – wenn auch andere mitteleuropäische Staaten sicher ihren Anspruch auf Zugehörigkeit stellen können. Es sei ihnen allen gegönnt. Karel Schwarzenberg war dermaßen großzügig und weltgewandt, dass er niemanden im Stich lassen wollte, auch wenn es ihm zum Beispiel in den 70er-Jahren nicht gelingen konnte, in der österreichischen Parteipolitik Fuß zu fassen. Es war offensichtlich für unsere österreichischen Freunde noch zu früh.
Wir Tschechen waren daher nur glücklich, dass in den 90er-Jahren, vor allem dank Vaclav Havel und dessen Charisma, es möglich war, Karel Schwarzenberg langsam aber sicher die politische Bühne zur Verfügung zu stellen, die er verdiente: Die Rolle seines politischen Lebens war die des Außenministers in Krisenzeiten. Das bewies er wiederholt, vor allem in den Monaten der ersten tschechischen Ratspräsidentschaft, wo er im Jahre 2009 taktvoll aber energisch zur Beilegung sowohl der damaligen Krise mit der russischen Gasversorgung als auch der Krise im Gaza-Streifen beitrug.
Dieses Krisenmanagement war in seiner eigenen Zeit verankert und wohl kaum beliebig reproduzierbar. Eines soll man sich aber gleichwohl merken: Man kann schwierige Krisen lösen, ohne die eigenen Prinzipien aufzugeben. Möge dies – als Vermächtnis des Krisenmanagers Schwarzenberg – auch in Zukunft Schule machen.
Gemeinsamkeiten mit Königin Elisabeth II.
Man darf aber auch nicht vergessen, wie inspirierend und beeindruckend Karel Schwarzenberg war im Prozess der deutsch-tschechischen Annäherung und später auch Versöhnung. Diese Rolle ist in Europa nur vergleichbar mit der Rolle der britischen Königin in den britisch-irischen Beziehungen. Mit Königin Elisabeth II. hatte Schwarzenberg ja eines gemein: Beide haben die traumatische Geschichte zwischen den Völkern in sich getragen und gewissermaßen auch verkörpert.
Dank ihnen und ihrem Vorbild konnten die anderen, die nach der Verständigung suchten, eine konkretere Vorstellung davon bekommen, worum es bei ihren Bemühungen geht und dass es sich lohnt – egal, ob man dabei erfolgreich ist oder nicht. Karel Schwarzenberg und die Königin konnten genauso wenig wie die Geschichte selbst Absolution erteilen, doch ihre Motivationshilfe kann man gar nicht genug hoch schätzen. Sie gaben den Zeitgenossen das Gefühl, dass es nicht egal ist, wie man lebt.
Ein großer Geschichtenerzähler
Aber das sind noch nicht alle Verdienste von Karel Schwarzenberg. Wichtig und richtig wäre es, ihn auch als einen wunderbaren Geschichtenerzähler zu würdigen. Doch nicht mit allen seinen Geschichten auf einmal. Es scheint mir, dass es viel wichtiger wäre, sich die besten Geschichten aufzusparen und sie bei Gelegenheit mit den anderen Freunden, Kollegen und Bekannten von Karel Schwarzenberg zu teilen. So findet man vielleicht gemeinsam eher Trost nach dem soeben erlittenen Verlust, anstatt dass jeder mit seiner eigenen Trauerarbeit allein bleibt. Lieber Karel Schwarzenberg, ich werde Sie nie vergessen!
Der Autor ist Botschafter Tschechiens in Berlin.