Text der Deutsch-tschechischen Erklärung
07.09.2006 / 20:54 | Aktualizováno:
Hier finden Sie den Text der Deutsch-tschechischen Erklärung, der am 21 Januar in Prag von den Regierungschefs beider Länder unterzeichnet wurde.
Die "Deutsch-tschechische Erklärung über die gegenseitigen
Beziehungen und deren künftige Entwicklung" vom 21. 1. 1997
"Die Regierungen der Bundesrepublik Deutschland und der
Tschechischen Republik -
eingedenk des Vertrages vom 27. Februar 1992 über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Tschechischen und Slowakischen Föderativen Republik, mit dem Deutsche und Tschechen einander die Hand gereicht haben,
in Würdigung der langen Geschichte fruchtbaren und friedlichen Zusammenlebens von Deutschen und Tschechen, in deren Verlauf ein reiches kulturelles Erbe geschaffen wurde, das bis heute fortwirkt,
in der Überzeugung, daß zugefügtes Unrecht nicht ungeschehen gemacht, sondern allenfalls gemildert werden kann und daß dabei kein neues Unrecht entstehen darf,
im Bewußtsein, daß die Bundesrepublik Deutschland die Aufnahme der Tschechischen Republik in die Europäische Union und die Nordatlantische Allianz nachdrücklich und aus der Überzeugung heraus unterstützt, daß dies im gemeinsamen Interesse liegt,
im Bekenntnis zu Vertrauen und Offenheit in den beiderseitigen Beziehungen als Voraussetzung für dauerhafte und zukunftsgerichtete Versöhnung -
erklären gemeinsam
Ziffer 1
Beide Seiten sind sich ihrer Verpflichtung und Verantwortung
bewußt, die deutsch-tschechischen Beziehungenn im Geiste guter
Nachbarschaft und Partnerschaft weiter zu entwickeln und damit zur
Gestaltung des zusammenwachsenden Europa beizutragen.
Die Bundesrepublik Deutschland und die Tschechische Republik teilen heute gemeinsame demokratische Werte, achten die Menschenrechte, die Grundfreiheiten und die Normen des Völkerrechts und sind den Grundsätzen der Rechtsstaatlichkeit und einer Politik des Friedens verpflichtet. Auf dieser Grundlage sind sie entschlossen, auf allen für die beiderseitigen Beziehungen wichtigen Gebieten freundschaftlich und eng zusammenzuarbeiten.
Beide Seiten sind sich zugleich bewußt, daß der gemeinsame Weg in die Zukunft ein klares Wort zur Vergangenheit erfordert, wobei Ursache und Wirkung in der Abfolge der Geschehnisse nicht verkannt werden dürfen.
Ziffer 2
Die deutsche Seite bekennt sich zur Verantwortung
Deutschlands für seine Rolle in einer historischen Entwicklung, die
zum Münchner Abkommen von 1938, der Flucht und Vertreibung von
Menschen aus dem tschechoslowakischen Grenzgebiet sowie zur
Zerschlagung und Besetzung der Tschechoslowakischen Republik
geführt hat.
Sie bedauert das Leid und das Unrecht, das dem tschechischen Volk durch die nationalsozialistischen Verbrechen von Deutschen angetan worden ist. Die deutsche Seite würdigt die Opfer nationalsozialistischer Gewaltherrschaft und diejenigen, die dieser Gewaltherrschaft Widerstand geleistet haben.
Die deutsche Seite ist sich auch bewußt, daß die nationalsozialistische Gewaltpolitik gegenüber dem tschechischen Volk dazu beigetragen hat, den Boden für Flucht, Vertreibung und zwangsweise Aussiedlung nach Kriegsende zu bereiten.
Ziffer 3
Die tschechische Seite bedauert, daß durch die nach dem
Kriegsende erfolgte Vertreibung sowie zwangsweise Aussiedlung der
Sudetendeutschen aus der damaligen Tschechoslowakei, die Enteignung
und Ausbürgerung unschuldigen Menschen viel Leid und Unrecht
zugefügt wurde, und dies auch angesichts des kollektiven Charakters
der Schuldzuweisung. Sie bedauert insbesondere die Exzesse, die im
Widerspruch zu elementaren humanitären Grundsätzen und auch den
damals geltenden rechtlichen Normen gestanden haben, und bedauert
darüber hinaus, daß es aufgrund des Gesetzes Nr. 115 vom 8. Mai
1946 ermöglicht wurde, diese Exzesse als nicht widerrechtlich
anzusehen und daß infolge dessen diese Taten nicht bestraft
wurden.
Ziffer 4
Beide Seiten stimmen darin überein, daß das begangene Unrecht
der Vergangenheit angehört und werden daher ihre Beziehungen auf
die Zukunft ausrichten. Gerade deshalb, weil sie sich der
tragischen Kapitel ihrer Geschichte bewußt bleiben, sind sie
entschlossen, in der Gestaltung ihrer Beziehungen weiterhin der
Verständigung und dem gegenseitigen Einvernehmen Vorrang
einzuräumen, wobei jede Seite ihrer Rechtsordnung verpflichtet
bleibt und respektiert, daß die andere Seite eine andere
Rechtsauffassung hat. Beide Seiten erklären deshalb, daß sie ihre
Beziehungen nicht mit aus der Vergangenheit herrührenden
politischen und rechtlichen Fragen belasten werden.
Ziffer 5
Beide Seiten bekräftigen ihre Verpflichtungen aus den
Artikeln 20 und 21 des Vertrages vom über gute Nachbarschaft und
freundschaftliche Zusammenarbeit 27. Februar 1992, in denen die
Rechte der Angehörigen der deutschen Minderheit in der
Tschechischen Republik und von Personen tschechischer Abstammung in
der Bundesrepublik Deutschland im einzelnen niedergelegt sind.
Beide Seiten sind sich bewußt, daß diese Minderheit und diese Personen in den beiderseitigen Beziehungen eine wichtige Rolle spielen und stellen fest, daß deren Förderung auch weiterhin im beiderseitigen Interesse liegt.
Ziffer 6
Beide Seiten sind überzeugt, daß der Beitritt der
Tschechischen Republik zur Europäischen Union und die Freizügigkeit
in diesem Raum das Zusammenleben von Deutschen und Tschechen weiter
erleichtern wird.
In diesem Zusammenhang geben sie ihrer Genugtuung Ausdruck, daß aufgrund des Europaabkommens über die Assoziierung zwischen der Tschechischen Republik und den Europäischen Gemeinschaften und ihren Mitgliedstaaten wesentliche Fortschritte auf dem Gebiet der wirtschaftlichen Zusammenarbeit einschließlich der Möglichkeiten selbständiger Erwerbstätigkeit und unternehmerischer Tätigkeit gemäß Art. 45 dieses Abkommens erreicht worden sind.
Beide Seiten sind bereit, im Rahmen ihrer geltenden Rechtsvorschriften bei der Prüfung von Anträgen auf Aufenthalt und Zugang zum Arbeitsmarkt humanitäre und andere Belange, insbesondere verwandtschaftliche Beziehungen und familiäre und weitere Bindungen, besonders zu berücksichtigen.
Ziffer 7
Beide Seiten werden einen deutsch-tschechischen Zukunftsfonds
errichten. Die deutsche Seite erklärt sich bereit, für diesen Fonds
den Betrag von 140 Millionen Mark zur Verfügung zu stellen. Die
tschechische Seite erklärt sich bereit, ihrerseits für diesen Fonds
den Betrag von 440 Millionen Kč zur Verfügung zu stellen. Über die
gemeinsame Verwaltung dieses Fonds werden beide Seiten eine
gesonderte Vereinbarung treffen.
Dieser gemeinsame Fonds wird der Finanzierung von Projekten gemeinsamen Interesses dienen (wie Jugendbegegnung, Altenfürsorge, Sanatorienbau und -betrieb, Pflege und Renovierung von Baudenkmälern und Grabstätten, Minderheitenförderung, Partnerschaftsprojekte, deutsch-tschechische Gesprächsforen, gemeinsame wissenschaftliche und ökologische Projekte, Sprachunterricht, grenzüberschreitende Zusammenarbeit).
Die deutsche Seite bekennt sich zu ihrer Verpflichtung und Verantwortung gegenüber all jenen, die Opfer nationalsozialistischer Gewalt geworden sind. Daher sollen die hierfür in Frage kommenden Projekte insbesondere Opfern nationalsozialistischer Gewalt zugute kommen.
Ziffer 8
Beide Seiten stimmen darin überein, daß die historische
Entwicklung der Beziehungen zwischen Deutschen und Tschechen
insbesondere in der ersten Hälfte des 20. Jahrhundets der
gemeinsamen Erforschung bedarf und treten daher für die Fortführung
der bisherigen erfolgreichen Arbeit der deutsch-tschechischen
Historikerkommission ein.
Beide Seiten sehen zugleich in der Erhaltung und Pflege des kulturellen Erbes, das Deutsche und Tschechen verbindet, einen wichtigen Beitrag zum Brückenschlag in die Zukunft.
Beide Seite vereinbaren die Einrichtung eines deutsch-tschechischen Gesprächsforums, das insbesondere aus den Mitteln des deutsch-tschechischen Zukunftsfonds gefördert wird und in dem unter der Schirmherrschaft beider Regierungen und Beteiligung aller an einer engen und guten deutsch-tschechischen Partnerschaft interessierten Kreise der deutsch-tschechische Dialog gepflegt werden soll."